Let’s get back to bed – Ein Gespräch über Sexualität nach der Geburt

Unsere Physiotherapeutin und Beckbodenspezialistin Nadja Büttner hat sich mit Yogalehrerin Pia Flake getroffen, um über das Thema Sexualität nach der Geburt zu sprechen. Nadja und Pia verbinden gleich mehrere Dinge: beide sind selbst Mamas zweier Kinder und ihre gemeinsame Mission ist es, so viele Frauen wie möglich über die Funktion und die Gesundheit ihres Beckenbodens aufzuklären. Ein Gespräch über Unsicherheit und Ängste, aber auch über Neuentdeckung und Offenheit.

Nadja, in deiner Arbeit als Beckenboden-Physiotherapeutin spielt das Thema Sexualität (nach der Geburt) sicherlich eine wesentliche Rolle, oder?

Naja, leider nicht wirklich. Denn viele Frauen haben eine große Hemmschwelle, ihr Anliegen diesbezüglich mit mir zu teilen und wissen oft gar nicht, dass wir spezialisierte Therapeutinnen auch hier gut unterstützen können.

Mir fällt auf, dass Frauen besonders nach der Geburt verunsichert sind und oft nicht wissen, wo sie Hilfe bekommen können. Beckenboden- PhysiotherapeutInnen sind also eine gute Anlaufstelle. Woher kommt diese Unsicherheit?

Nach einer Geburt unterliegt der Beckenraum erheblichen Veränderungen, sowohl anatomisch als auch hormonell. Viele Frauen fühlen sich unter Druck gesetzt und haben das Gefühl, sie müssen schnell wieder sexuell aktiv sein, obwohl sie von verschiedenen Faktoren daran gehindert werden. Es ist weit verbreitet zu hören, dass Orgasmen zur Stärkung des Beckenbodens beitragen können. Das ist korrekt, vorausgesetzt es liegen KEINE Beschwerden vor. Allerdings sind Beschwerden nach einer Geburt äußerst verbreitet. Dieser Druck von außen und die Erwartungen des Partners können oft zu Verunsicherungen führen. Frauen sind dementsprechend bei Beckenboden-PhysiotherapeutInnen gut aufgehoben, da eine gezielte und individuelle Diagnostik total Sinn macht, die Frauen beraten und Fragen geklärt werden können. 

Welche Faktoren halten die Frauen davon ab, wieder sexuell aktiv zu werden?

Zunächst einmal spielt die Unlust eine Rolle, die nach der Entbindung auftreten kann. Während der Stillzeit sind die Sexualhormone der Frau in der Regel noch nicht auf dem Normalniveau. Der niedrige Östrogenspiegel und der oft ausbleibende Eisprung bedeuten, dass die Frau nicht auf Fortpflanzung gepolt ist. Hinzu kommt, dass junge Mütter aufgrund ihrer engen Bindung zum Neugeborenen vermehrt mit dem Kuschelhormon Oxytocin versorgt werden, was Glücksgefühle hervorruft.

Der Östrogen-Tiefstand führt ja auch dazu, dass es zu Trockenheit im Vaginalbereich kommt. Kann das auch eine Hemmschwelle sein?

Ja, genau. Durch die Trockenheit tauchen bei einer Penetration stärker wahrnehmbare Reizungen auf, die unangenehm, ja sogar schmerzhaft sein können. Hier kann Gleitgel Abhilfe schaffen.

Wie sieht es mit dem neuen Alltag aus, wie nimmt er Einfluss auf die Sexualität als junge Mutter?

In einer funktionellen MRT Studie wurde untersucht, wo das Sexzentrum im Gehirn ist, und was bei einem Orgasmus passiert. Es wurde herausgefunden, dass für einen vaginalen Orgasmus alle anderen Gehirnareale ausgeschaltet sein müssen. Und das ist im Alltag einer jungen Mutter sehr schwierig. 

Zudem ist auch Schlaf ein wichtiger Faktor, um Lust zu entwickeln. Der Schlafmangel in der ersten Zeit mit Baby trägt nicht wirklich zu mehr Lustempfinden bei.

Viele Frauen berichten von Schmerzen bei der Penetration. Woran kann das liegen und was kann ich tun?

Zunächst ist es sehr wichtig herauszufinden, woher der Schmerz kommt. Dafür sind spezialisierte Beckenboden PhysiotherapeutInnen oder GynäkologInnen da, um genau das zu diagnostizieren. 

Nach Geburten sind Organsenkungen oft der Grund für Schmerzen bei penetrativem Sex und das ist nicht optimal. Sollte das der Fall sein, ist es sinnvoll über einen Stellungswechsel nachzudenken und in eine eher entlastende Position zu gehen (z.B. Rückenlage oder Knie-Ellenbogen-Stand).

Es kann auch vorkommen, dass die Reibung Schmerzreize auslöst, da nach der Geburt die Organe im kleinen Becken noch sehr sensibel sind. Es kommt zu Irritationen.

Auch bei Dammverletzungen kann die Penetration anfangs noch sehr schmerzhaft sein, da die leichte Dehnung des Narbengewebes sehr empfindlich ist.

Aber vielleicht kann man auch vorerst versuchen, auf anderen Wegen ohne penetrativen Geschlechtsverkehr Lust auszuleben. Das kann für viele Paare interessant und spannend sein.

Oft höre ich auch, dass man gar nichts spürt, á la “Lost-Penis-Syndrom”? Was kann ich dann tun?

Beim Lost-Penis-Syndrom sind die Muskeln in der Vagina meist noch zu schwach, so dass beim Sex keine Reibung zwischen Vagina und Penis entstehen kann. Hier machen Positionen Sinn, in denen die Frau die Beine wenig öffnet, um die Vaginalwände mehr zu schließen. Außerdem hilft effektives Beckenbodentraining wunderbar und Geduld zahlt sich aus.

Nach meiner Geburt hatte ich zunächst einmal Berührungsängste, mich selbst anzuschauen und brauchte eine Weile, bis ich mich wieder berühren konnte. Frauen berichten oft, dass sie ihre Narben nicht anfassen wollen. Was kann man da tun?

Das ist alles ganz normal nach einer Geburt. 

Nach einer Geburt ist es wichtig, seinem “neuen” Körper mit viel Liebe und Achtung zu begegnen. Erinnere dich daran, dass dieser Körper einen Menschen erschaffen und geboren hat. Er ist ein Wunderwerk. 

Beginne zunächst dich mit einem Spiegel ganz neugierig und offen anzuschauen. Vielleicht machst du das sogar zum ersten Mal in deinem Leben und entdeckst dich ganz neu. 

Schaue einfach nur oder spüre mit deinem Finger, ob du eine Beckenbodenkontraktion spürst, vielleicht magst du dein Narbengewebe massieren. Vor allem bei Dammverletzungen ist es nach dem Abheilen unheimlich wichtig, eine gute Durchblutung wiederherzustellen. Denn nur lebendiges Gewebe kann aktiviert werden. Auch wird durch die Massage der Narben die Berührungssensibilität gefördert.

Ist das auch wichtig für die Kaiserschnittnarbe?

Unbedingt. Die Narbenmassage am unteren Bauch ist ein wunderbarer Startpunkt, um die Berührungsangst abzubauen. Ganz sanft beginnen kann man hier auch mit einem Tuch, einer weichen Zahnbürste und dann auch irgendwann gemeinsam mit dem Partner. Freundschaft zu schließen mit diesem Körperbereich ist unheimlich wichtig.

Apropos Partner – ich empfehle meinen Teilnehmerinnen schon vor der Geburt viel mit dem Partner zu sprechen, um auch in intimen Situationen gut kommunizieren zu können. Was empfiehlst du Paaren nach einer Geburt?

Genau das. Die Kommunikation mit dem Partner, auch über das Sexleben, ist in der ersten Zeit mit Kind unabdingbar. Ganz offen über die Situation zu sprechen, nimmt den Druck bei den Mamas. Jetzt ist außerdem ein guter Zeitpunkt, dass sich die junge Mama auch selbst auf Entdeckungsreise begibt. Was mag ich? Was fühlt sich gut an? Wenn sie sich kennt und sich in ihrem “neuen” Körper wohl fühlt kann sie noch viel besser kommunizieren. In der Zweisamkeit darf anfangs neu entdeckt und ausprobiert werden, nicht immer mit dem Ziel den Höhepunkt zu erreichen. Vielleicht werden so andere Vorlieben entdeckt und die Verbindung zueinander noch verstärkt.

Was magst du den jungen Mamas noch mitgeben?

Setze dich nicht unter Druck, sondern beginne dich neu in deinen eigenen Körper zu verlieben. Irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem du die Kraft und die Muße hast, dich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Ganz egal, ob das nach 2 Monaten, nach 6 Monaten, nach einem Jahr oder noch länger ist. Und den Zeitpunkt bestimmst du!

Danke für dieses wertvolle und ehrliche Gespräch, liebe Pia!

Mehr Infos über Pia Flake und ihre Arbeit findest du übrigens auf ihrer Website: https://piaflake.com/

Autor:

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Kathleen Treff

PT, B.A. Präventions- und Gesundheitsmanagement

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